Autor: Hans Bewersdorff
Datum: 04.11.2007
Frischer Wind für die Zigarre
Sie werden belächelt, kritisiert, verhöhnt, aber am Ende sind sie
meistens die Ersten: Pioniere. In den 90er-Jahren arbeitete ich beim
Burda-Verlag in München. Schon damals sprach der Verleger Hubert Burda von
Multimedia und Datenautobahn. Viele haben ihn belächelt, doch er sollte recht
behalten.
Heute werden selbst Bereiche, die scheinbar immun gegen jegliche Veränderungen
schienen, durch das Netz aus ihrem Dornröschenschlaf gerissen – so auch die
manchmal etwas behäbige Zigarren-Branche. Von medialer Langeweile rund um den
Puro kann keine Rede mehr sein. Das alte Spiel von Gefälligkeitsjournalismus
gegen Anzeigen ist inzwischen nur noch peinlich.
Private Aficionados haben längst die Initiative übernommen, Zigarren als
jahrhundertealtes Kulturgut von anderen Tabakwaren abzugrenzen und die Industrie
mit ihren verstaubten Rezepten unter Feuer zu nehmen. Das Zaubermittel gegen
langweilige Smoker-Treffen und aufgeblähte PR-Vorturner heißt bloggen. Fast
lautlos ging es 2003 los, nur wenige nahmen anfangs Notiz. Das änderte sich
schon bald. Seit 2005 boomen die Blogs. Das Prinzip ist einfach: User tauschen
sich direkt miteinander aus, über Links und E-Mails werden Inhalte in Sekunden
verbreitet. Das Geschriebene bleibt stehen, kann immer wieder abgerufen,
kommentiert und mit neuen Informationen angereichert werden.
Ganz wichtig für die Bedeutung der Blogs insgesamt: Auch wenn der Tenor sich
verändert, mit jedem Posting wird der Thread verstärkt, der Ur-Beitrag damit
wichtiger. Bei der Zigarre gibt es seit Längerem einen klassischen Blog, der oft
sehr spannend zu lesen ist. Er heißt The Cigar Blog (cigars.kaywa.com),
bildet ein breites Spektrum ab und zeigt
die Vielseitigkeit des Themas, das eben nicht beim Deckblatt aufhört. „Die
Meinung von Usern über ein Produkt hat viel größeres Gewicht als die Angaben und
Werbebotschaften der Hersteller und Händler“, sagt der Initiator von The Cigar
Blog Hans Fischer. „Die Branche ist dank der ausgeprägten sozialen und
kontemplativen Aspekte der Zigarre ja prädestiniert für Interaktion mit der
Kundschaft. Sie muss auf den Zug aufspringen.“ Private Webseitenbetreiber haben
diese Entwicklung aufgenommen, etliche andere Foren sind im Internet, allerdings
spielen sie im Gegensatz zu einem reinen Blog nur einen kleinen Teil des
Repertoires und nur mit Zugangsverpflichtung.
Zusammen mit dem versierten Zigarren-Dompteur Klaus „Ricci“ Riegelhuth aus Bad
Vilbel und dem Schweizer Onlinefachhändler Manuel Fröhlich (betreibt seit April
2007 den Cigar Blog) hat Hans Fischer in privater Regie jetzt das Cigar Wiki (www.cigar-wiki.com)
gestartet. Es soll ein Onlinenachschlagewerk
rund um die Zigarre werden. Unterstützt wird das Cigar Wiki von Heinrich
Villiger und seinen Gesellschaften. Die Villiger-Gruppe hat versprochen, ihre
Schatzkiste an archivierten Bildern und Texten für eine unabhängige Plattform zu
öffnen, deren Zielpublikum – eine virtuelle Gemeinschaft von hoffentlich nicht
nur habanophilen Internetusern – gleichzeitig auch für die Weiterentwicklung der
Seite verantwortlich ist. Denn laut Fischer können alle Interessierten einen
Beitrag leisten, Informationen liefern oder eben auch selber am Wiki
mitschreiben.
Ohne Zweifel gibt es jede Menge Unsinn zur Zigarre im Netz. Oft sind Seiten mit
guten Absichten entstanden, jedoch schnell in die Belanglosigkeit abgeglitten.
Wichtiger ist, dass manche Aficionados langsam das Feld von hinten aufzurollen
beginnen. Die Bevormundung durch Hochglanz-Postillen im Verbund mit großen
Herstellern und Händlern geht zu Ende. Schließlich darf es nur einen Sieger
geben – die Zigarre.
Original-Artikel auf der WELT-Website: Frischer Wind für die Zigarre
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